Dienstag, 12. Januar 2010

Die Luege vom Kanal

Wir sind in Panama City, in einer Welt- in einer Millionenstadt; aber auch in der Hauptstadt eines Landes, die das Miami Zentralamerikas genannt wird.
Als die Nacht sich legt und von einem warmen Montagmorgen abgeloest wird, sehen wir den Grund fuer diesen Namen: ueberall stehen Wolkenkratzer, Glas spiegelt in unvorstellbaren Hoehen das Blau vom Himmel und das Weiss der Wolken wider.

Im Taxi fahren wir durch die Wirren des Verkehrs, erreichen den aelteren Stadtteil Panamas und laufen durch die engen Gassen. Es ist schoen hier; auf der einen Seite liegt die Skyline, die tatsaechlich aussieht wie die Skyline einer amerikanischen Grossstadt. Dort, wo wir sind, fuehren alte Strassen an schoenen Haeusern vorbei, Blumen stehen auf den Balkonen und die Sonne lacht. Es ist halb eins und wir wollen etwas essen, aber das, was wir eigentlich suchen, liegt so versteckt zwischen den Haeusern und Kirchen der Altstadt - oder vielleicht sind wir auch einfach so muede, immerhin sind wir zehn Stunden im Bus gefahren, es war kalt, man hatte die Klimaanlage aufgedreht und eine gesunde Schlafhaltung ist bei solchen Unternehmungen sowieso nicht drin.
Letztlich finden wir ein guenstiges und gemuetliches Cafe, es ist halb zwei und wir sind immer noch auf der Suche nach Fruehstueck. Zwecks der Uhrzeit gibt es Sandwiches und Nudeln.
Im Anschluss gucken wir uns das an, wofuer dieses Land nun einmal beruehmt ist. Wer es eng sieht - und wir sehen es aufgrund unserer Verbundenheit mit unserem momentanen Heimatland eng -, der kann sagen, dass Panama reich ist und Nicaragua arm ist und dass es eine Verbindung gibt. Man kann sogar sagen, dass Nicaragua arm ist, weil Panama reich ist.
Es geht um, natuerlich: den Kanal.

Um diese Gemeinheit zu verstehen, die da schon Jahrhunderten vor sich geht, muss man die geographischen Gegebenheiten Nicaraguas kennen: dort gibt es naemlich einen Fluss, einen wunderschoenen Fluss, der von der Karibik bis in den Lago de Nicaragua fliesst; es ist der Rio San Juan, der ganze zweihundert Kilometer zaehlt und bei San Juan del Norte in den Atlantik fliesst. Es ist eine natuerliche Wasserstrasse, breit und gross, leicht befahrbar, das einzige Problem die Muecken, aber das kennen die europaeischen und amerikanischen Eroberer neuen Landes schon von anderswo.
Seit Neuestem suchen sie eine Wasserstrasse zwischen Atlantik und Pazifik, sie sind muede, wollen nicht mehr den ganzen Weg um Chile und Argentinien herum schippern, um dann nur auf die andere Seite zu gelangen, sie wollen auch keine Waren mehr aufs Festland verladen muessen, um sie wenig spaeter wieder auf ein Schiff zu laden; sie suchen einen kurzen, effizienten Weg, das alles zu transportieren und dieser Weg soll direkt durch Zentralamerika laufen.
Die geographischen Gegebenheiten des Landes sind wie geschaffen fuer einen Kanal, das bemerkt auch schon der spanische Chronist Francisco Lopez de Gomara, der ueber Nicaragua und den Rio San Juan bereits 1551 schreibt: Man fasse nur den festen Entschluss, die Durchfahrt auszuführen, und sie kann ausgeführt werden. Sobald es am Willen nicht fehlt, wird es auch nicht an Mitteln fehlen.
Doch der zukunftsgewandte Schreiberling denkt moderner als sein Koenig Filipp II; der ist naemlich der Meinung, dass man Gottes Werk nicht zerstoeren darf und da er es nun einmal ist, der ueber dieses neugewonnene Land regiert, gibt er sein koenigliches Veto und die Idee von einer ganz natuerlich geschaffenen Verbindung zwischen den zwei Weltmeeren ist fuer knapp drei Jahrhunderte gebannt.

Erst da merken die Amerikaner naemlich, dass sie - der Goldrausch nach Kalifornien lockt viele Menschen in die jungen Staaten, die sich gerade erst verkuendet haben - viele Menschen in den very West ihrer Staaten bringen muessen; sie haben die Wahl zwischen wochenlangen Fahrten auf dem Meer, die abgeloest werden durch eine ebenso lange wie beschwerliche Reise durch die gerade erst annektierten Gebiete des MidWests, durch Texas, Kansas. Es wird Monate dauern, bis sie schliesslich Kalifornien erreichen, zudem ist das zarte Alter der Vereinigten Staaten von Amerika ein Nachteil: die Versorgung ist schlecht, sowohl die Nahrungsversorgung, wie auch der Ausbau von Strassen. Das Land, das sie nun ihr Eigen nennen und sich von der Ostkueste bei New York bis an die Westkueste bei Los Angeles und San Francisco zieht, ist noch immer unbekannt, unbetreten, roh und wild.

So viel einfacher scheint der Weg ueber die natuerliche Strasse des Rio San Juan in Nicaragua, so viel einfacher der Weg ueber den Lago de Nicaragua, so viel einfacher das Einsteigen in die Eisenbahnlinie in San Juan del Sur, die bis in die USA fuehrt.
Zu dieser Zeit ist viel los in Nicaragua, viele Menschen verschiedenster Nationalitaeten sind unterwegs und vermeiden plagende Fahrten unter der marternden Sonne der Staaten; ganz bequem koennen sie Kalifornien und das Gold, das auf sie wartet, erreichen.

Noch bequemer waere es, wenn es einen direkten Durchgang gaebe: einen Wasserweg zwischen dem Lago de Nicaragua und dem Pazifik; Nicaraguas Arm, der zu dieser Seite das Land von Costa Rica beruehrt, ist duenn und ein Wasserweg waere mehr als moeglich. Seit Jahren suchen die Nicaraguaner die Moeglichkeit, ihrem Traum vom Transozeanischen Kanal wahr werden zu lassen; selbst Napoleon ist mit im Boot, aber letztlich will kein Europaer und kein Amerikaner etwas von dem so nuetzlichen und so einfachen Verbindungsweg etwas wissen; dabei stehen die Chancen besser als je zuvor: nicht viel Land muesste durchbrochen werden und auch Filipp II ist schon lange tot, - selbst seine religioesen Vorstellungen stehen dem Projekt des Nicaragua-Kanals nun nicht mehr im Wege, hinzu kommen technische Errungenschaften und der stete Fortschritt der erwachenden Industrialisierung.
Aber es gibt einen neuen Maechtigen, der mit dem Verlauf des Rio San Juan, der Ueberfahrt auf dem Nicaragua-See und dem Eisenbahnverkehr von San Juan del Sur nach Kalifornien recht zufrieden scheint: dem amerikanischen Eisenbahnkoenig Cornelius Vanderbilt reichen seine Einnahmen vollkommen und die selbst von ihm geplante Durchfuehrung eines Nicaragua-Kanals verlaeuft sich im Sande.

Nur wenige Jahre bleibt es ruhig, niemand aeussert mehr die Idee eines Kanals, aber es gibt auch keine Konkurrenz: der Rio San Juan wird befahren, Menschen steigen in Zuege um, der Verkehr laeuft, wenn auch schleppend.
1850 jedoch beginnen einige Amerikaner mit dem Bau einer Eisenbahn durch Panama - und mit einem Mal steht wieder dieser Kanal im Vordergrund, den man nun gerne dort, am duennen Arm Zentralamerikas bauen wuerde. Es liegt zwar weiter unten, aber irgendwie ist es den Amerikanern, den Schiffern und jedem, der noch etwas dagegen haben koennte, lieber, sich nicht allzu lange auf staatlichen Inlandsgewassern zu befinden: der Rio San Juan verliert. Doch die Nicaraguaner haben ein weiteres Problem in diesem Moment: der suedliche Nachbar Costa Rica - dessen natuerliche Grenze zu Nicaragua durch den Rio San Juan gezeichnet wird - fragt sich, warum dieser lange, tropische Fluss eigentlich zu Nicaragua und nich zu Costa Rica gehoert.

Und waehrend Nicaragua damit beschaeftigt ist, seine natuerlichen Gegebenheiten zu verteidigen, wird in Panama ein Kanal geplant und in Angriff genommen, der den Rio San Juan mit einem Male unbedeutend machen kann.
Viel zu spaet gibt es neue Verhandlungen mit Amerikanern, viel zu spaet neue Plaene und nach immer staerkeren Unstimmigkeiten mit dem amtierenden Praesidenten Jose Santos Zelaya, nehmen die USA sich das Recht, einzumarschieren, ihn abzusetzen und zu ersetzen - mit einem US-freundlichen Regime, das nichts von einem Kanal wissen will.

1914 schliesslich kommt das bittere Ende der Idee eines Niaragua-Kanals: noch immer wird das Land zu Gunsten der Amerikaner regiert und so ist es leicht, den Vetrag zu unterzeichnen, der zugleich die postkoloniale Armut dieses Landes bezeichnen wird: die USA nehmen sich das Recht, Veto einzulegen, sobald Nicaragua einen Kanal im eigenen Land bauen will; ihnen werden die Haende gebunden, sie duerfen, sie koennen somit nicht mehr ueber ihr eigenes Land entscheiden. "Fuer ewig" steht auf dem Vertrag und bis heute besitzen die Amerikaner das Bestimmungsrecht ueber einen Kanal, der die Bezeichnung des Zweitaermsten Landes Lateinamerikas haette verhindern koennen.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.