Mittwoch, 20. Januar 2010

Palmares: Nie mehr Las Vegas

Was das Oktoberfest für die Deutschen (und den Rest der Welt) ist, ist Palmares für Costa Rica (und nur für Costa Rica).
Lukas und ich sitzen Samstag gegen zwei Uhr im Bus, der uns zu diesem Ort bringen soll, an dem tagsüber Familienausflüge stattfinden und sich abends ein Gruppenbesäufnis vollzieht.
Als wir das Festgelände betreten, sieht es noch friedlich aus: es ist gerade mal drei, Mütter und Väter mit Kindern an den Händen flanieren über die Wiesen, Essstände verkaufen alles, was man sich nur ausdenken (aber selten wollen) kann, und die bunten Fähnchen der Girlanden flattern aufgeregt im Wind.
In einiger Entfernung sehen wir eine Achterbahn und vergessen beim Anblick eines fliegenden Hauses unser Alter: zehn Minuten später sitzen wir in einer recht schlechten Achterbahn, wir fahren Autoscooter und rammen jeden, der uns in die Quere kommt (aber alle machen das so), und ja, irgendwann sitzen wir auch in diesem fliegenden Haus. Ganz langsam hebt es sein Fundament und wir blicken über Palmares. Dann fängt es an, zu kreisen und eigentlich ist es ganz lustig, Lukas und ich sind mit Abstand die ältesten hier und irgendwie sollten wir auch die Coolsten sein. Aber die Scheibe neben mir ist ziemlich locker und dieses Haus hört nicht auf, sich zu drehen.
Als wir wieder auf sicherem Boden sind, gehen wir zum Hausbesitzer und sagen ihm, dass es da ein Problem mit der Scheibe gibt.
Jaja, sagt er, nickt, und lässt die nächsten Kinder rein, die schon ungeduldig warten.

Nach zwei, drei Stunden haben wir Palmares abgegrast: wir kennen die Fressbuden, kennen die Souvenirstände, haben uns ein paar Kleinigkeiten geleistet und sind nun auf dem Weg zurück.
Da kommen wir an einem Glücksspielstand vorbei und irgendwie sieht es lustig aus. Man muss Pfeile werfen und dann kann man was gewinnen; Mixxer, Waffeleisen, Flachbildschirme, oder eben Bargeld. Der Glücksspielchef lässt uns eine Runde ausprobieren und da hätten wir schon was gewonnen, aber es war ja nur zum Ausprobieren.
Die nächste halbe Stunde verbringen wir damit, Pfeile zu werfen, Nummern zu zählen. Zunächst zocken wir sie ganz schon ab, denn irgendwann ist kein Geld mehr in ihrer Kasse, doch dann dreht sich unser Blatt. Uns fehlen noch fünf Punkte, dann gewinnen wir 1200 Dollar (oder eben Waffeleisen, Mikrowellen etc. in entsprechender Summe), doch schliesslich haben wir kein Geld mehr. Wenn man die Bilanz zieht, haben wir nicht viel verloren, gerade mal 20 Dollar hat der gute Mensch an uns verdient.
Ihr könnt morgen wieder kommen, sagt Senor Suerte. Ein bisschen betröppelt gehe ich in Richtung Bus, während Lukas neben mir die Wahrscheinlichkeiten unseres Sieges vorrechnet. Dafür hat man dann eben Mathe-LK, schönen Gruss an den Lehrer.
Aber immerhin, denke ich auf dem Rückweg nach San Jose, habe ich nun auch schon mal in meinem Leben gespielt. Und so haben wir doch noch einen kleinen Trost, einen kleinen Trostpreis gewonnen.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.