Freitag, 15. Januar 2010
San Jose II
Aber das passiert nur in Nicaragua; als wir am Hotel ankommen und er sich sogar fuer mich an der Rezepzion nach einem Zimmer erkundigt, habe ich schon fast ein schlechtes Gewissen, ihm etwas derartiges unterstellt zu haben.
Es gibt keine Zimmer mehr, sagt er, nur noch einen Platz im Dorm.
Dorm. Das steht fuer Dormitorium, das heisst, dass dort alle wie die Sandinen in der Buechse liegen.
Es ist nur fuer ein paar Stunden, ueberlege ich laut.
Aber auch in ein paar Stunden kann man ausgeraubt werden, sagt er und er hat Recht. Dann zeigt er auf ein Haus, zwanzig Meter von uns entfernt: Da ist es gut. Willst du da hin?
Fragen schadet nicht und wir fahren die paar Meter, mein Taxifahrer erkundigt sich erneut und handelt einen Preis mit der Dame aus. Es ist ein wenig teuer, aber San Jose ist eben nicht Matagalpa.
Als ich mein Zimmer betrete, kann ich mein Glueck kaum glauben: ich bin gemartet vom Busfahren, vom verzweifelten Suchen nach einer angenehmen und warmen Schlafposition, mir ist kalt von der Klimaanlage und von San Jose bei Nacht; und dann komme ich in dieses Zimmer.
Ich glaube, ich habe noch nie ein so grosses Bett gesehen. Es ist das groesste Bett meines Lebens und ich bin allein. Ich muss mich dreimal ueber die Laken rollen, um in der Mitte anzukommen, ich habe eine Decke, die dick und warm und so gross wie ein Zelt ist. Ich schlafe koeniglich zu kaiserlichen Preisen, aber das ist mir in diesem Moment total egal.
Als ich am naechsten Morgen aufwache, ist es noch nicht einmal acht Uhr; laenger schlafen kann ich aber auch nicht und so mache ich mich auf. Mein Gepaeck lasse ich im Hotel und auf eigene Faust erkunde ich San Jose. Dabei komme ich am Fischmarkt vorbei und es stinkt wie in einem bretonischen Hafen; so geschickt, wie ich bin, tapsse ich auch noch direkt durch die Fischlache.
So begegne ich also meinem besten Freund: mit einer auffallend eigenartigen Duftnote. Aber er waere nicht mein bester Freund, wenn er darueber hinwegsehen wuerde. Und bis fuenf Uhr nachmittags verfliegt vielleicht der Fisch.
Was es heißt, zu gehen
Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.
Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.
Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.
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