Freitag, 8. Januar 2010

San Jose: Nicht ohne unsere Kaiserin

Alle Ticos sagen: San Jose ist haesslich. Das sagen auch alle Nicaraguaner ueber Managua. Der Unterschied: Die Nicaraguaner haben recht. Und: In Managua kann man verloren gehen; in San Jose findet man sich wieder.

Bis wir das erkennen koennen, vergeht aber noch einige Zeit. Zunaechst verabschieden wir uns von Leon, der nach Managua faehrt. Sein Bus hat auch nur eine Stunde Verspaetung.
Selina, Tim und ich pluendern daraufhin einen Supermarkt und setzen uns an die panamericana, die nach San Jose durch Canas geht; da sind wir naemlich gerade, leider nur zu dritt, denn Lina ist krank und bleibt einen weiteren Tag auf der Finca, in Begleitung von Vivi. Da Tim, Selina und ich aber noch immer unsere Gelbfieberimpfung brauchen, machen wir uns also auf den Weg in die angeblich so haessliche Hauptstadt. Der Bus nach San Jose ist voll, wir finden noch einen Platz auf der Treppe und es ist alles andere als kuschelig; unsere Koffer konnten wir gluecklicherweise im Stauraum des Busses unterbringen, aber dies wird uns zu spaeterer Stunde noch zum Verhaengnis.
Noch wissen wir aber nichts von der Odysee, die uns in San Jose erwartet, und ein bisschen muffig, ein bisschen muede, ein bisschen gleichgueltig knattern wir dahin.
Das einzige, was wir fuer die naechsten eineinhalb Stunden von unserer Fahrt mitkriegen, ist der blaue Himmel im Fenster ueber uns. Wir sehen nicht die Landschaft, die an uns vorbeizieht.

Erst, als der Bus haelt und alle Ticos aussteigen, sehen wir ein bisschen mehr vom Land. Der gesamte Bus entleert sich und irgendwie verstehen wir nicht ganz, was passiert.
Disculpe, Señora, sagt Selina, was passiert hier?
Die Frau lacht.
Och, wir gehen jetzt alle urinieren und dann fahren wir weiter. Sie lacht wieder.

So ist das immer, auch in Nicaragua. Sie gehen nicht ins Bano. Sie gehen urinieren. Auch in der Schule. Es ist ein Wort, an das wir uns nie gewoehnen werden.
Aber es ist dann tatsaechlich so, wie diese Frau es sagt: der gesamte Bus geht urinieren, dann fahren wir weiter. Wir kriegen ein paar Sitzplaetze und schlafen in der Weiche der Sitze sofort ein.
Um halb eins werden wir allmaehlich wach und schon sind wir in San Jose; die Grossstadt und ihre Auslaeufer, die an unseren Fenster vorbeiziehen, sehen alles andere aus als haesslich. Vielleicht gibt es keinen einheitlichen Stil, aber - Verzeihung, lieber Berliner -, den gibt es in Berlin auch nicht. Oder in Koeln. Selbst in Paris gibt es architektonische Verbrechen.
Die Haesslichkeit, von der alle Costaricaner im Bezug auf San Jose sprechen, ist ein Witz, wenn man bedenkt, dass Managua auf den ersten Blick eine einzige Carretera ist, - eine einzige Strasse. Shoppingmals entlang der Panamericana, Kreisverkehre, aber keine Wohngebiete, ein paar Gruenflaechen, ein paar Palmen, ein paar Denkmaeler.
In San Jose hat man es irgendwie besser hingekriegt; es gibt Strassen, es gibt Ampeln, es gibt Haeuser, hohe Haeuser, es ist mehr eine Weltstadt. Es gibt sogar eine Fussgaengerzone, es gibt riesige Parks, Leute spielen Fussball, und es gibt auch noch alte Haeuser, Theater, die in der Nacht angestrahlt werden, und wie aus einer anderen Zeit und doch nicht fremd aussehen.

Das alles kann uns jedoch erstmal ziemlich egal sein, denn: obwohl wir nur zu dritt sind, gelingt es uns, uns aus den Augen zu verlieren.
Wir kennen San Jose nicht und so fragen wir eine Frau im Bus nach einer guten Gelegenheit, auszusteigen. Wir muessen ins Krankenhaus, wegen dieser verrueckten Gelbdfieberimpfung. An einer Kreuzung gibt sie uns ein Zeichen und dann geht alles ziemlich schnell: Tim und ich steigen aus, Tim laeuft zum Busfahrer und will das Gepaeck aus dem Busbauch holen, da faehrt der Bus schon wieder los, Selina springt in letzter Sekunde auf, Tim und ich stehen draussen, ein Mann, der aus einem der Busfenster schaut, deutet in Richtung einer Bushaltestelle.
Tim und ich ueberqueren die Strasse und sehen noch, wie der Bus samt Gepaeck und unserem oesterreichischen Kronjuwel davon faehrt. Man stahl uns unsere Sissi.

Wir sind ein bisschen perplex, stehen da vor der Scotiabank und gucken auf die Kreuzung, als ob irgendetwas noch passieren wuerde. Aber der Bus kommt nicht, Selina kommt auch nicht und wir ueberlegen fieberhaft, was wir tun koennen.
Wir warten bis zwei, bewegen uns nicht von der Stelle, denn San Jose ist gross und der Bus kann ueberall hinfahren. Auch Selina bewegt sich nicht. Sie befindet sich vielleicht achthundert Meter Luftlinie von uns entfernt, am Coca Cola Terminal, einem der gefaehrlichsten Orte in San Jose. Aber auch das wissen wir nicht.

Um zwei nehmen Tim und ich uns ein Taxi und fahren zur deutschen Botschaft. Wir werden freundlich empfangen, die Leute, die dort arbeiten, sind alle sehr jugn und hilfsbereit. Sie telefonieren fuer uns durch halb San Jose, stellen usn Fragen, wir beschreiben das Gepaeck.
Nach zehn Minuten wissen wir, wo das Gepaeck und vielleicht ja auch Selina ist: im Coca Cola Terminal. Wir erkunden uns noch nach der Geblfieberimpfung und haben Glueck im Unglueck: wir brauchen sie nicht. Nicht fuer Deutschland, hoechstens fuer die Wiedereinreise nach Costa Rica, aber das ist mittlerweile auch veraltet.
ch bin sebst ohne Gelbfieberimpfung rumgereist, ich war auch in Panama - und hatte keine Probleme, sagt die junge Frau hinter der Glasscheibe. Aber zur Sicherheit telefoniert sie noch einmal ein bisschen rum.
Nach fuenfzehn Minuten haben wir absolute Gewissheit, bedanken uns, steigen in ein Taxi und fahren zum Coca Cola Terminal.

Keine Selina. Dafuer gehen wir in ein Internetcafe, wo wir eine Mail von Vivi haben, die uns Selinas Aufenthaltsort in San Jose schreibt; Selina rief naemlich bei Vivi an und Vivi schrieb an uns.
Um halb vier sind wir drei wieder gluecklich vereint und zur Feier des Tages gehen wir zu Pizza Hut und essen fuer 33 000 Colones. Das mit dem Geld haben wir immer noch nicht raus.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.