Dienstag, 23. März 2010

Granada: Lolo und das Geheimnis der Nationalblume

Von Leon geht es Montagmorgen nach Granada; die Sonne heizt bereits gegen acht Uhr morgens die Straßen Leons auf, ein paar Leute suchen auf den Stufen der Kathedrale Schutz im Schatten, und wir fahren mit einem Minibus nach Managua. Die Felder am Rand der Straße sind gelb und strohig, abgegrast von Vieh und der Sonne, die den Asphalt flimmern lässt.
Wir fahren am Vulkan Momotombo vorbei und sehen den See von Managua, der blau und groß zu unserer Linken zwischen verdorrten Büschen hervorblitzt. Die Straßen Managuas sind stickig und hässlich; Marktfrauen tragen ihre Ware auf ihrem Kopf, sie schreien "auwa auwa auwa"(agua) oder halten Gepäck in Plastiktüten in den Händen. Halten wir an einer Ampel, sehen wir Bettler an den Fenstern vorbeilaufen, die ihre knochige Hand an die Scheibe halten oder zu dicken Pickups gehen und verzweifelt anklopfen. Kinder sitzen am Straßenrand auf Pappe und springen auf, sobald es rot wird.
Wir halten an der UCA, dem Busbahnhof gegenüber der Universidad CentroAmerica und wechseln in den Bus nach Granada. Nach nur fünfundvierzig Minuten halten wir am Parque Central der ehemaligen Hauptstadt und trinken erst einmal einen Batido. Im Minutentakt kommen Kinder oder Jugendliche vorbei, die Honig oder Artesanias verkaufen, schließlich kommt eine alte Frau vorbei, die mich, nach verzweifeltem Fragen, im Weggehen verflucht. Sos mala, sagt sie, du bist böse. Und für einen Moment weiss ich nicht, was ich sagen soll. Es ist eine Situation, die wir alle mittlerweile kennen, und doch fragt man sich, mit welchem Recht wir selbst entscheiden, wem wir etwas geben oder nicht.
Und so ist Granada eine Stadt der Gegensätze; es ist ein touristisches Zentrum, ein Ort, der Fremde anlockt; immer wieder begegnen wir Ausländern, sie sind entweder blond oder rotgebrannt, tragen große Sonnenbrillen und Kokosnussschmuck, weite Hosen und Tücher.

Schließlich machen wir uns auf die Suche nach einem Hotel. La ciudad esta llena, erklärt uns ein Jugendlicher, der am Hoteleingang sitzt und die freien Zimmer vergibt; wir bekommen trotzdem eine habitacion für vier Personen. Im Anschluss erkunden wir die Stadt, betrachten den See, den Mombacho und die kolonialen Häuser vom Turm der Merced aus und laufen schließlich zum See. Granada und Leon sind die ältesten Städte Nicaraguas, und wurden im 16. Jahrhundert von Francisco Hernandez de Cordoba gegründet; zwischen beiden Städten besteht seit ihrer Gründungszeit eine Rivalität, die immer mal wieder aufkommt und Wellen schlägt. Irgendwann wurde es den Behörden und den Nicaraguanern zu bunt und, um den Neid und die Konkurrenz beider Kolonialstädte zu verringern, erklärte man Managua als Hauptstadt.

Papa und ich stehen am See, dessen Ende wir nicht sehen können. 8157 km² ist er groß, er ist der größte See Mittelamerikas und für den morgigen Tag steht eine Reise nach Ometepe an, eine Vulkaninsel, die im See liegt, der auch Cocibolca genannt wird.
Die Sonne brennt uns auf die Schultern und mein Industriearchäologe ist schon ordentlich rot auf der Nase, als uns Lolo anspricht. Er ist ein bisschen untersetzt bzw. hat eine nicht zu unterschätzende Plautze und einen Pferdekarren. Ob wir die Iselates sehen wollen. Die Isletas, das ist etwas, das auch ich noch nicht kenne; gelegen am Nicaraguasee, gegründet im 16. Jahrhundert, litt Granada weniger unter der Nähe zu einem aktiven Vulkan als Leon. Denn zur Zeit Cordobas war der Mombacho noch immer aktiv und die Isletas, die vielen kleinen Insel am Rande des Sees, sind nichts anderes als jahrtausende alte Auswürfe des Vulkans. Für etwa 25 Euro fahren wir auf Lolos Pferdekarren zur Anlegestelle, wo schon eine Lancha, ein kleines Boot auf uns wartet; wir sind die einzigen Gäste und so bekommen wir eine einstündige Privatfahrt durch die Iselates. Einige sind furchtbar klein und gerade mal ein Baum steht darauf. Andere hingegen sind groß; hier errichten die Besitzer des Nationalrums Flor de Cana und des Lieblingsbieres der Nicaraguaner - Tona - ihr Wochenendhaus bzw. -schloss.

Wenn wir eine Insel kaufen wollen, sagt Lolo, kann er uns dabei helfen. Wir halten uns eher bedeckt, machen Fotos von den Vögeln und den zahlreichen Tieren, von den Kindern, die ganz selbstverständlich zwischen den Inseln hin- und herschwimmen oder dort Fischen. Sie winken uns zu und halten stolz ihren Fang in die Luft.
Schließlich fährt Lolo an einen Baum heran und bricht eine Blume ab.
Das ist die Nationalblume Nicaraguas, sagt er und schenkt mir die Blume. Sie ist lang, hat seltsame Blütenblätter und wächst nur in Nicaragua. Wieder machen wir Fotos, aber zwei Tage später erfahren wir, dass Lolo uns angelogen hat - oder vielleicht doch nicht so viel über sein Land weiß.

Den Abend verbringen wir ruhig, gehen schön essen, während hinter der Kathedrale Granadas die Sonne die Straßen in ein flutendes Gold hüllt. Kinder kommen an unseren Tisch und bieten uns an, etwas aus Schilf für uns zu basteln. Der Preis ist egal. Schließlich geben wir einem Jungen zwei Cordobas und er bastelt mir einen Schmetterling, der die Reise tatsächlich gut übersteht.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.