Samstag, 3. April 2010
Ometepe: ein Vulkan und ein Geschäftsmann
Bei der Abfahrt ist der Bus voll mit Menschen, es ist eng, einige müssen im Gang stehen; durch den ganzen Bus schallt die Unerthaltung einiger Gringos, die weiter hinten zugestiegen sind. Sie alle wollen nach Ometepe, das stellt sich zumindest heraus, als wir das Ticket im Bus bezahlen. Schließlich schlägt der Busfahrer vor, uns direkt an die Fähre zu fahren, und so haben wir die Frage nach dem Taxi von Rivas nach San Jorge gleich geklärt. Es ist eben alles ein bisschen unkomplizierter in Nicaragua, - zumindest Dinge, die in Deutschland kompliziert sind. Vollkommen simple Angelegenheiten hingegen kosten den Zentralamerikaner Mühe und Not und viele Stunden fruchtlosen Nachdenkens (das weiß auch der Zentralamerikaner; weswegen er stets Lösungen findet, die dem Ganzen einen Hauch von Absurdität gönnen.)
Als wir in San Jorge ankommen, sehen wir sofort den See Cocibolca; und er ist noch größer, noch schöner, noch sauberer als in Granada. Er gleicht einem Meer, und direkt zu unserer Rechten fischen ein paar Frauen, Kinder springen vom Kai ins Wasser und das ministerio de turismo nicaraguense hat hier ganze Arbeit geleistet: vor uns liegt die Fähre nach Ometepe und die Regierung Ortega, besser das govierno de la reconcilicacion y unidad nacional, hat schnell erkannt, wie es aus dem zurück gelassenen Land Nicaragua einen Geheimtip machen kann. Die Fähre ist gut und schnell, die Seewege nach Ometepe und zum Archipelago de Solentiname sind gut ausgebaut, auf den Autobahnen weisen Schilder die umliegenden Sehenswürdigkeiten an. Fast wie in Deutschland also, mit dem kleinen Unterschied, dass es auf Mainau keinen aktiven Vulkan gibt.
Den sehen wir schon von Weitem und er ist so mächtig, eine Pyramide der Natur, vollkommen symmetrisch ragt er da heraus aus dem Grün, und wir sind ehrfürchtig wie die Soldaten Napoleons und schweigen, da wir nicht wissen, wie viele Jahre auf uns hinabblicken.
Auf der Insel angekommen, suchen wir uns ein Hotel und finden das Hotel America, geführt von zwei netten Senioren aus eben diesem Lande. Wir zahlen den niedrigsten Preis und haben die besten Zimmer auf der ganzen Reise. Manchmal ist das Glück verrückt.
Den Nachmittag verbringen wir mit der Erkundung des noch unbekannten Eilandes; wir entdecken einen Laden mit handgemachten Souveniren und - das war es dann auch schon. Moyogalpa, die Hafenstadt, in der wir uns befinden, ist wie der Rest Ometepes: es zählt die Natur.
Wir schlendern zum Hafen und treffen auf den Mann der Stunde; er ist kräftig, hat lustige, lange Locken und dunkle Augen. Der Eingeborene heißt Norwin und ist ein absoluter Geschäftsmann; was wir suchen, ob wir irgendwohin wollten?
Ja, an den punta Jesus Maria, eine Sandbank, von der aus die ganze Insel sichtbar sein soll. Im Reiseführer steht, dass man bequem und frech auf der Sandlandzunge entlang spazieren kann.
Für Norwin kein Problem. Er nennt den Preis, wir nicken und schon sitzen wir in seinem Auto und fahren die hügelige Straße entlang. Wir kommen an Norwins Haus vorbei, er hält, steigt aber nicht aus. Eine Frau erscheint in der Tür. My Baby, sagt er. Wir nicken höflich. Er gestikuliert ein bisschen wild, die Frau ein bisschen wilder, dann geht es weiter und schließlich fährt er uns durch einen Wald zum Ufer des Sees. Norwin gibt uns eine halbe Stunde, um bis zur Spitze zu laufen, wir plantschen ein bisschen mit den Füßen im Wasser, sammeln Muscheln, setzen uns in den Sand, reden, gucken zwei Frauen beim Fischen zu. Es ist friedlich auf Ometepe und eine angenehme Ruhe nimmt auch uns in Besitz.
Was es heißt, zu gehen
Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.
Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.
Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.
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