Montag, 5. April 2010
Auf der Suche nach einem Wasserfall
Während wir die eineinhalb Stunden bis San Ramon fahren, an den Fuß des Maderas, erklärt uns Norwin die Insel: es gibt ein Waisenhaus hier auf Ometepe, für Kinder aus Managua; immer wieder passieren wir kleine Doerfer, die hier enthusiastisch Stadt genannt werden; wir fahren an Schulen vorbei, sie sind alle - wie auch im restlichen Land - blau-weiß angestrichen. Wir schweigen ein bisschen, die Straße ist laut genug, da fragt uns Norwin nach der Nationalblume.
Jaha, die würden wir kennen, erklären wir vor lauter Touristenstolz und ich beschreibe ihm, wie sie aussieht.
Er sieht mich ein bisschen schräg von der Seite an, als denke er: was labert die? Dann hält er an, an einem Baum und klettert bis in die Krone. Als er wieder auf der sicheren Erde neben uns steht, hält er einen ganzen Ast mit der Nationalblume in der Hand. Wir staunen nicht schlecht und denken ein bisschen kichernd, ein bisschen beschämt an Lolo zurück, der uns erzählen konnte, was er wollte, und wir glaubten ihm alles.
Für den Rest der Fahrt hält Norwin uns womöglich für ein wenig beschränkt; wir halten schliesslich in San Ramon, einer weiteren Stadt Ometepes. Hier gibt es nichts, ausser ein paar Fischern. Norwin parkt seinen Wagen vor einem Zaun, dann grinst er uns an.
Jetzt muessten wir laufen. Es sind drei Kilometer bis zum Wasserfall.
Na, gut, aendern koennen wir die Entfernung auch nicht. Wir zahlen den Eintritt und stapften los.
Was Norwin uns nicht gesagt hat: Es handelt sich um drei nicaraguanische Kilometer, es sind Scheinkilometer; denn wir laufen und laufen und haben schon bald keine Lust mehr. Da hilft es auch nicht, dass der Industriearchaeologe an meiner Seite mich auf die schoenen schwarzen Steine auf den Kuhweiden rechts und links von uns hinweist.
Schliesslich hoeren wir Motorengeraeusch hinter uns, wir sehen uns um und ein Pick Up kommt direkt auf uns zu, auf dem Gepaecktraeger steht Norwin hunnengleich und lacht uns entgegen. Wir springen schneller auf als wir die letzten Meter zurueck gelegt haben und ganz ohne Probleme erklimmt der Pick Up den Weg, der uns zu schaffen gemacht haette. Nach zehn Minuten kommen wir an einen improvisierten Parkplatz.
Jetzt muesst ihr wirklich laufen, sagt Norwin. Von hier ist es noch ein Kilometer bis zum Wasserfall. Auch das stellt sich als freche Luege heraus, aber uns zwingt niemand in die Knie. Was wir nun erleben, ist purer Dschungel: wir sehen viele lustige Tiere, manche hoeren wir auch nur, zu unseren Koepfen sehen wir den Gipfel des Maderas hinter unendlosem Gruen und Nebelschwaden verborgen.
Ab und an bilden wir uns ein, doch tatsaechlich rauschendes Wasser zu hoeren. Aber das kommt nur aus den Rohren, die neben uns liegen und das Wasser vom Wasserfall wegfuehren. Wir folgen schweigend, es ist heiss, und doch sind wir dankbar, im schuetzenden Dickicht des Maderas zu wandern.
Nach einer Ewigkeit kommen wir an den Beginn einer grossen Schlucht. Ein paar Bauarbeiter hantieren mit den Rohren rum, ich frage ganz vorsichtig, ob es hier in der Gegend einen Wasserfall gibt. Jaja, jaaa! Nur ein bisschen weiter in die Richtung. Hier sei gesagt: Vorsicht bei lateinamerikanischer Laengeneinschaetzung. Zeit wie auch Kilometer werden oft ungemeldet unterschaetzt.
Aber gut, wir vertrauen den Bauarbeitern und fraesen uns weiter vor ins Dickicht. Immerhin laeuft jetzt schon ein Rinnsal neben uns her, eine Traene, mehr ist es nicht, aber sie laesst uns hoffen.
Und dann: dann sehen wir ihn, den Wasserfall des Maderas. Von ganz hoch oben kommt das Wasser und laeuft am nassgruenen Steinentlang. Ich bin mindestens genau so schlecht im Schaetzen wie die Nicaraguaner, deshalb belaeuft sich meine persñnliche Laengenangabe der Hoehe dieses Wasserfalles auf ein simples Adjektiv: hoch.
Aber wir sehen noch etwas: wir sehen, dass der Wasserfall immer noch erstaunlich weit weg ist.
Also stapfen wir weiter und irgendwann kommen wir doch tatsaechlich an, lassen uns auf einen Baumstamm plumpsen und trinken erst mal was. Danach wird nicht lange diskutiert und der - wenn auch eingeschraenkte - Badespass kann beginnen. Man muss das bisschen Weg ja noch zurueck.
Das ist dann allerdings gar nicht mehr so schlimm; zurueck sind wir erstens flinker, zweitens suchen wir nicht mehr, denn wir wissen, wo es lang geht. Norwin grinst uns wie eine Meerkatze an, als wir schliesslich wieder beim Wagen sind.
Die naechste Etappe unserer Ometepetour ist ein Strand, um genauer zu sein der Strand von Santo Domingo. Hier gibt es ein ausgezeichnetes Restaurant und wie das unter Insulanern so ist, kennen sie sich alle. Es ist schon Mittag und wir haben Hunger, aber weil wir so nett sind, laden wir Norwin auch zum Essen ein. Bescheiden wie er ist, beteuert er, dass das ja alles gar nicht noetig sei, und er nur ein bisschen essen wuerde. Letztlich ist er mit einem schlichten Huhn zufrieden und erhaelt somit die Goldmedaille auf der Rechnung.
Nebenan sitzen ein paar Amerikaner; sie fragen unhoeflich, ob sie uns den Ketchup stehlen duerften, und auf eine Antwort warten sie gar nicht.
Nach dem Essen plantschen wir ein bisschen mit den Fuessen im Wasser des Nicaraguasees. Und man muss sagen, dass dieser Strand tatsaechlich ganz bezaubernd ist, waere da nicht die Sonne Nicaraguas, die ihn in einen offenen Barbecue verwandelt. Wir verbrennen uns die Fuesse und schon geht es weiter in die groesste Stadt Ometepes, Altagracia. Doch auch da ist nichts. Im Reisefuehrer ist nicht ein Restaurant emprohlen, nicht ein Ort, an den man gehen koennte. Wir sitzen ein
bisschen unbeholfen herum. Norwin zeigt uns ein paar alte Steinstatuen, die angeblich 4000 Jahre alt sein sollen. Es sind Goetterbilder und ein Opferstein, wo immer schoene junge Maedchen blutruenstig geopfert wurden. Er erzaehlt dies alles mit einem Anflug von Freude im Gesicht und er wird mir ein wenig unheimlich.
Als Norwin uns allein laesst, lesen wir im Reisefuehrer, dass die Statuen ca. 1200 Jahre alt sind. Vorsicht bei nicaraguanischen Jahreszahlen.
In ALtagracia gibt es ein Museum. Im Schnelldurchlauf gucken wir uns die vier kleinen Raeume an; - aber immerhin, es gibt ein Museum.
Schliesslich fahren wir zur vorletzten Station unserer Tagestour: Steinritzereien aus frueher Vorzeit. Wie alt sie nun genau sind, fragen wir Norwin besser nicht. Wir machen Fotos, dann fahren wir in ein Muenzmuseum und Ometepe kann auf dem persoenlichen Travelguide des Industriearchaeologen punkten.
Als wir uns von Norwin verabschieden, geht gerade die Sonne unter. Es ist ein ruhiger Abend, wir gehen, wie auch am Vorabend, in unser bevorzugtes Restaurant und schliesslich machen wir uns am naechsten Tag auf die Rueckreise nach Matagalpa.
Was es heißt, zu gehen
Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.
Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.
Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.
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