Donnerstag, 8. April 2010
Ein kluger Kopf
Was ich hier mache, in Matagalpa, will das Apothekerehepaar wissen. Und sie freuen sich, als sie hören, dass ich Englisch unterrichte, dass es mir hier gefällt und dass ich noch ein bisschen Zeit hier verbringen werde.
Sie hätten selber einen Enkel und sie würden sich freuen, wenn er Englisch lernen könnte.
Kein Problem, sage ich, immerhin arbeite ich am Tag - darf ich das überhaupt hier schreiben? - von 15:30 Uhr bis 17:00 Uhr; die Lehrerinnen und Lehrer in Nicaragua werden nach Stunden bezahlt. Und je mehr ich unterrichte, desto weniger verdienen sie.
Dienstag werde ich also von einer Gehilfin des Ehepaares zu Noe gebracht, einem aufgeweckten Zwölfjährigen, der sich tatsächlich freut, dass ich ihn bald unterrichten werde. Seine Mutter ist jung, schlank und gerade mal dreißig Jahre alt, - und das ist für keinen ein Problem.
Noe und ich setzen uns gemeinsam ins Arbeitszimmer und schon nach fünf Minuten merke ich, dass er eine ganze Menge auf dem Kasten hat. Innerhalb der ersten sechzig Minuten, die ich ihn unterrichte, nehmen wir den gesamten Unterrichtsstoff von einem Dreivierteljahr in der Escuela Publica Wuppertal durch. Zum Ende hin sind wir beide müde, aber als ich das Haus verlasse, bin ich glücklich und habe das Gefühl, aufs Neue gefordert zu werden; immerhin werde ich zumindest einem Kind mehr als die Früchte beibringen.
Was es heißt, zu gehen
Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.
Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.
Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.
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