Donnerstag, 8. April 2010

Ostern auf Lateinamerikanisch

Die Semana Santa an sich verbringen wir friedlich; fast alle haben sich aus dem Staub gemacht: Vivi reist mit ihrer besten Freundin in Nicaragua herum, Lina ist in Argentinien, Tim und Janina haben sich nach Solentiname aufgemacht, ich genieße es, die Zeit zu haben, um Zeit zu haben und so verstreichen die Tage der Semana Santa. Die Straßen Matagalpas sind leer, es ist beinahe wie in einer Geisterstadt, fast schon wie in La Paz Centro. Ein bisschen kühler wird es auch und nach drei Monate ohne Regen freue ich mich wie ein Kind zu Weihnachten über dichte Wolken und dunkles Grollen.
Was jedoch besinnlich und verschlafen wirkt, spielt sich an Nicaraguas Stränden anders ab; allein von Karfreitag bis Ostersonntag sterben circa 100 Personen in Zusammenhang mit Alkohol bzw. Alkohol am Steuer. Allein vierzehn Jugendliche sterben bei einem Autounglück, sie alle sitzen im gleichen Auto.
Im Fernsehen senden sie die Passion Christi beinahe jeden Tag, aber das war es auch beinahe schon mit der Heiligkeit zu Ostern. Karfreitag ist ein stiller Tag, Fisch steht auf dem Tisch, man geht zur Messe, aber ansonsten bemerkt man nichts Osterliches. Hasen oder bunte Eier sucht man vergebens und fragt man die Nicas, ob sie denn keine Eier anmalen würden, dann gucken sie dich komisch an.
In der Nacht auf Ostersonntag fangen die Nicas an, Bombas anzuzündern, genau so schallen christliche Gesänge von den Bergen. Tim, Janina, Erwin und ich feiern das Ende der Fastenzeit mit einem großen Frühstück und zur Freude aller gibt es sogar Nutella auf den Pfannkuchen.
Ostermontag wird wieder gearbeitet, zumindest ist es vorgesehen; als ich jedoch zur Schule komme, erklärt mir Mercedes, dass doch kein Unterricht statt findet.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.