Freitag, 28. Mai 2010

Der Tag der Mutter

Die Mutter bzw. die Frau ist etwas Besonderes in Nicaragua; sie wird verehrt und doch manchmal auch sitzen gelassen. Um sich jedoch daran zu erinnern, was die Mutter alles für die Kinder und für die Gesellschaft tut, gibt es hier den Tag der Mutter, den dia de las madres. Ihn mit dem Begriff Muttertag zu übersetzen, hilft vielleicht zum Verständnis, allerdings ist es nicht das gleiche.

Denn der nicaraguanische Muttertag ist anders, als der deutsche: es ist beinahe ein gesetzlicher Feiertag, jede Schule veranstaltet ein event, einen acto de las madres, bei dem die Mutter gefeiert wird. Zudem bekommen alle Mütter Geschenke, Glückwunschkarten etc. Natürlich spielen auch die Geschäfte in der matagalpinischen Calle Central verrückt, rote Herzen hängen überall, Sprüche wie El amor de mama es como el amor de dios (Mutters Liebe ist wie Gottes Liebe) tauchen überall auf, selbst Handyanbieter schicken uns SMS zum dia de las madres.

In der Escuela Publica Wuppertal läuft es rund am gestrigen Morgen. Jede Klasse hat etwas vorbereitet, einige fünfzig Mütter sind gekommen, trotz des Regens, der unablässig fällt. Ich setze mich zusammen mit einer Lehrerin in einen Wald aus Herzen und wir beobachten das Geschehen; zunächst wird die Nationalhymne gesungen und sie klingt immer ein bisschen traurig, heute verstärkt der Regen dieses Bild. Darafhin spricht ein Priester ein Gebet für die Mutter, ein Mädchen tanzt, ein paar Jungen sprechen über die Bedeutung der Mutter, wieder wird getanzt und gesungen, Gedichte werden vorgetragen.
Schließlich geht Judtih auf die Bühne.
Wir haben etwas vorbereitet, sagt sie, mit strahlenden Augen, wir suchen die Mütter mit den meisten Kindern.
Sofort meldet sich eine Frau und hält beide Hände in die Luft. 10 Kinder hat sie. Eine andere meldet sich, elf Kinder, ruft sie. Doch das ist gar nichts, liebe Leute.
Eine ältere Frau, die wir bereits als Oma bezeichnen würden (womöglich ist sie das auch schon), meldet sich und wird auf die Bühne gebeten.
Und, wie viele Kinder haben sie?
Es sind dreizehn, die bei mir wohnen, sagt sie und lächelt schwach.
Und, wie viele haben sie?, fragt Judith wieder.
Die viejita guckt kurz zum Himmel, als müsste sie nachzählen, dann nickt sie energisch und sagt glücklich: 18.
Das ist selbst für nicaraguanische Verhältnisse viel. Sie bekommt im Anschluss ein Geschenk und setzt sich glücklich wieder ins Publikum. Daraufhin werden noch die Mutter mit dem längsten Haar und die jüngste Mutter gesucht; die jüngste Mutter ist 16 und auch sie nimmt strahlend ein Geschenk entgegen.

Ein letzter Tanz, und dann ist der acto de las madres auch schon wieder vorbei. Die Lehrerinnen und ich gehen ins Direktorat, wo man Kuchen und Orangensaft trinkt, Norma verteilt Geschenke an alle Mütter und lacht mich entschuldigend an.
Der Kuchen ist wie immer: süß und unglaublich groß, kitschig, mit Rosen und Beschriftungen, aber darauf stehen die Nicas. Und letztlich war es ein schöner Muttertag.

Als ich gehe, treffe ich Profe Pedro, der sich wohl zum ersten Mal fehl am Platze fühlt, - was soll er auch, am Muttertag, hier, mit all den Müttern? Nicht ein Vater war bei der Veranstaltung anwesend, einzig Mütter und ihre Kinder (gut, ein paar Jungs).
Und, frage ich, was machen Sie am Tag der Mutter?
Er guckt mich an, dann lacht er: Eine Frau zur Mutter.
Und das ist auch typisch Nica.

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Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.