Donnerstag, 8. Juli 2010

Rosquillas in der Nacht

Man darf Nicaragua nicht verlassen, ohne zu wissen, wie man Rosquillas macht. Das sagt Dona Berta, meine ehemalige Nachbarin. Sie ist eine echte Dona, die mittlerweile mehr als achtzig Jahre alt ist. Sie ist Mutter, sie ist Oma, - aber vor allem ist sie herzlich. Und wie jede nicaraguanische Oma stellt sie fast alles selbst her, sie röstet ihren Kaffee selbst, sie kocht den geernteten Mais, sie backt Tortillas und Brot und Kuchen.
Vor einem halben Jahr hat sie mir beigebracht, wie man Gallo Pinto, das Nationalgericht Nicaraguas, kocht: Reis und Bohnen klingen unspektakulär, sind aber etwas sehr Feines, wenn sie von einem Spiegelei (huevo entero), einem Stück Käse, einer Tortilla und ein paar Kochbananen (platano maduro) begleitet werden.

Dieses Mal will sie mir nun also zeigen, wie man Rosquillas backt, und da befinde ich mich scheinbar bereits auf Level II, denn dieses Mal soll ich um vier Uhr morgens bei ihr auf der Matte stehen. Zunächst bin ich skeptisch, doch als ein runder Mond sein milchiges Licht über die schlafenden Häuser Matagalpas legt, stehe ich frisch und munter in Dona Bertas riesiger Küche. Die Masse aus Mais und Eiern und Käse - und einer geheimen Zutat – hat sie bereits am Vortrag zubereitet, jetzt geht es nur noch darum, daraus kleine Küchlein zu formen; das wird ungefähr vier Stunden dauern. Denn Dona Berta folgt einer nicaraguanischen Eigenheit: Wenn, dann viel. Der orangefarbige Bottich ist bis zum Rand mit Maismasse gefüllt und es liegt an mir, kleine Kügelchen daraus zu formen, die anschließend von ihrem Enkel durch den Fleischwolf gedreht werden, damit es auch schon luftig leicht schmeckt. Dona Berta selbst sitzt, in mehrere Decken eingelümmelt, am Tisch und klopft und hämmert am Teig herum, sie legt zuerst kleine Ringe, dann untertassengroße Kekse aufs Blech, das von einer anderen Enkelin in den Steinofen geschoben wird. Ganz begeistert will sie mir auch das Rezept zu den angeblich besten Rosquilla des Barrios geben; aber die Chance, dass ich eines Tages Cuajada und Maismehl und die suesse, klebrige Masse kaufen kann, die sie zum Schluss auf die Kekse streicht, muss ich bei aller Mühe als gering einstufen.

Als um sieben langsam der Verkehr auf der Strasse ins Rollen kommt, stehe ich mit meiner ersten Rosquilla am Fenster und gucke raus und habe das Gefühl, schon richtig was getan zu haben.
Zwei Wochen später bin ich wieder eingeladen, dieses Mal zum Nacatamales-Machen. Nacatamales sind sehr nicaraguanisch und ich würde es nicht als mein Leibgericht beschreiben; aber ich bin trotzdem da, dieses Mal um drei Uhr morgens. Zusammen mit Yaritza, Bertas ältester Enkelin, schnappe ich mir Palmenblätter, lege darauf zuerst einen Klops aus Maismasse, dann Schweine- oder Hühnchenfleisch, es folgen ungekochter Reis, zwei Rosinen, Tomaten, Erbsen, Würfelkartoffeln und letztlich wird das Palmenblatt zu einem kleinen Geschenk zusammengefaltet. Darin stelle ich mich ziemlich schlecht an und wahrscheinlich haben sich an diesem Wochenende viele Menschen bei Dona Berta über die Nacatamales beschwert. Die werden danach in heißes Wasser geworfen, wo alles zusammen brodelt und schließlich knotet man sein Geschenk auf und hat gutes und preiswertes Essen – wenn einem denn die Rezeptur der Nacatamales gefällt. Zum Abschluss erzählt Yaritza mir noch eine Nacatamales-Anekdote, die die Nicaragua seit Jahren von Rio Coco bis zum Rio San Juan belustigt. Ein Amerikaner wagte sich nämlich auch vor einiger Zeit an das kulinarische Palmenpaket heran und kam zu folgender Schlussfolgerung: „The meat was good but the salad was horrible.“ Man darf das Palmenblatt eben nicht essen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Was es heißt, zu gehen

Mit knapp zwanzig Jahren Lebenserfahrung habe ich mich entschlossen, ab Sommer 2009 für ganze zwölf Monate nach Nicaragua zu gehen; dass es geklappt hat, hatte ich zwischendurch nicht wirklich gedacht; aber dass ich nun, Anfang Juli, so kurz vor der Ausreise stehe und meine Schulzeit einfach so an mir vorbei gegangen ist - das ist noch weniger zu begreifen. Ich werde natürlich an diesem Zustand nichts ändern können und freue mich tatsächlich wahnsinnig auf die Zeit in Mittelamerika. Bisher haben sich meine Auslandserfahrungen auf den europäischen Raum begrenzt; am 23. Juli geht es jedoch los in ein Land, von dessen Existenz ich zuvor zwar wusste, aber an das ich doch zugegeben wenig gedacht habe - und das ich geographisch als Abiturientin "drüben" eingeordnet habe.

Innerhalb eines Jahres werden sich mein Weltbild, meine geographischen und kulturellen Kenntnissen verschieben, neu ordnen. Ich werde einen Teil der Welt kennen lernen, der von Armut, Korruption, Drogen und der Hoffnung auf Besserung bestimmt wird, - aber genau so von Gastfreundlichkeit, Freude am Leben und an dem wenigen, das man hat.

Ich verlasse meine Heimat, ohne zu wissen, was Heimat eigentlich ist.

Natürlich werde ich wiederkommen - jedenfalls gehe ich stark davon aus -, aber die Entwicklung, die ich in diesem Jahr vollziehen werde, ist jetzt noch gar nicht abzusehen. Es fällt leicht, über all diese Dinge an einem warmen, geheizten Ort (im Winter) zu schreiben, wenn man von all dem umgeben ist, das man zum Leben braucht. Wie es tatsächlich in Nicaragua aussieht, was sich tatsächlich hinter dem Wort Armut verbirgt und was man als Europäer tun kann oder tun muss, werde ich erst in einem Jahr wissen. Dieser Blog ist daher zweierlei: einerseits eine Informationsstation, die allen, die es interessiert oder auch nur zufällig hierher stolpern, Eindrücke meines Lebens in Nicaragua schildern soll; andererseits eine Gedankenkiste, in der ich all das verarbeiten und mitteilen kann, was ich hier erlebe; im Großen und Ganzen ist es dabei auch ein Beitrag meinerseits, um eine Welt, die unglaublich verknüpft ist und die denkbar unvorstellbar von der Technik und dem Fortschritt profitiert, zu ermöglichen, die sich in all der Schnelllebigkeit auch noch gegenseitig versteht und zuhört.